Jahrbuch_2022/2023

„Wir müssen in vielen Bereichen unser Geschäft neu erfinden.“

Dr. Thorsten Kahlert

Für Dr. Thorsten Kahlert war das Jahr 2022 das erste vollständige Jahr als CEO und Vorsitzender der HOERBIGER Konzernleitung. Im Interview gibt er einen Einblick in das vergangene Geschäftsjahr, spricht über die für ihn wichtigen Kriterien zukünftigen Wachstums, über Innovation als Wachstumstreiber und darüber, weshalb er und seine Konzernleitungskollegen überzeugt sind, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um HOERBIGER in vielen Bereichen neu zu erfinden.

2022 war für den HOERBIGER Konzern ein sehr gutes Geschäftsjahr. Können Sie uns das Jahresergebnis 2022 näher erläutern?

 

Dr. Thorsten Kahlert — Im vergangenen Geschäftsjahr ist es uns dank der gemeinsamen Anstrengungen aller Mitarbeitenden gelungen, den Widrigkeiten der unsicheren Märkte zum Trotz ein erneutes Umsatzwachstum zu erwirtschaften. Mit 1,267 Mrd. Euro haben wir 2022 sogar den höchsten Umsatz in der Geschichte von HOERBIGER erzielt.

 

Und wie lief es in den einzelnen Geschäftsbereichen?

 

TK — Trotz des schwierigen Umfelds konnten mit Ausnahme der Division Automotive alle Bereiche zum Umsatzwachstum beitragen. Die Division Compression kann auf ein rekordverdächtiges Geschäftsjahr zurückblicken, ebenso die Business Unit Rotary. Für die Business Unit Engine war 2022 ein Jahr des Wachstums, in dem sich die positive Entwicklung der Vorjahre fortsetzte. Und auch die Business Unit Safety konnte mit Produktinnovationen sowie verbesserten Prozessabläufen in der Wertschöpfungskette erfolgreiche Umsatzzuwächse generieren.

Für die Automobilindustrie und damit auch für die Division Automotive war 2022 ein außerordentlich schwieriges Jahr. Die Gleichzeitigkeit einer Vielzahl von Ereignissen und Einflüssen stellte die Automobilzulieferer vor extreme Herausforderungen. Insbesondere die seit COVID anhaltende Absenkung der globalen Fahrzeugproduktion, steigende Material- und Energiekosten sowie global instabile Lieferketten haben dazu geführt, dass die Division ihre Ziele nicht erreichen konnte und das Jahr 2022 mit einem Verlust abschloss.

„Durch die Entwicklung von schlüsseltechnologien partizipieren wir auch an Megatrends der Zukunft, wie z.B. den Themen Sicherheit oder  Wasserstoff als Energieträger. Wir arbeiten bereits mit Hochdruck an vielversprechenden Lösungen, die uns in diesen Zukunftsfeldern in eine starke Position bringen.“

Dr. Thorsten Kahlert 
CEO und Vorsitzender der Konzernleitung

HOERBIGER will wachsen, aber nicht um jeden Preis. Was sind für Sie die wichtigsten Kriterien?

 

TK — Als Zulieferer von performancebestimmenden Komponenten hat HOERBIGER nach wie vor das Ziel, die Nummer eins oder zwei in der jeweiligen Marktnische zu werden oder zu bleiben. Nur in einer marktführenden Rolle haben wir Zugang zu großen Kunden und Toptalenten, können weiter Standards setzen und Skaleneffekte realisieren. Zudem bleiben wir unserer Mehrsäulenstrategie treu. Das heißt, wir sind offen dafür, in neuen Geschäftsfeldern zu wachsen, sofern direkt eine Führungsposition zu erlangen und ein Eintritt in ein nachhaltiges Wachstumsfeld möglich ist. Daneben prüfen wir permanent die Möglichkeit von Akquisitionen und Partnerschaften bei Technologien, die unser bestehendes Geschäft ergänzen oder die Marktkonsolidierung vorantreiben können.

Ein zentrales Kriterium ist auch die Profitabilität und Nachhaltigkeit des Wachstums. Der Gewinn ermöglicht es uns, unsere Unabhängigkeit zu sichern, kundenzentrierte Innovationsprojekte zu realisieren und das Wachstum durch M&A-Aktivitäten voranzutreiben.

Dr. Thorsten Kahlert

Wo sehen Sie 2023 Wachstumspotenzial?

 

TK — Viele unserer traditionellen Geschäftsfelder befinden sich in einem grundlegenden Wandel. Wir müssen deshalb unser Geschäft in vielen Bereichen neu erfinden. Das empfinde ich persönlich als große Chance, unsere Innovationstätigkeiten voranzutreiben, neue Märkte zu erschließen und neue Geschäftsmodelle zu schaffen, die auf die Bedürfnisse unserer Kunden und Partner zugeschnitten sind.

Als führender Technologiekonzern sind wir zudem bestrebt, durch die Entwicklung von Schlüsseltechnologien auch an Megatrends der Zukunft zu partizipieren, wie z.B. im Bereich Sicherheit oder im Hinblick auf die zunehmende Bedeutung von Wasserstoff als Energieträger. Wir arbeiten bereits mit Hochdruck an vielversprechenden Lösungen, die uns in diesen Zukunftsfeldern in eine starke Position bringen. Aufgrund der bestehenden starken Kundennachfrage sind wir zuversichtlich, dass wir diese Lösungen zeitnah auf den Markt bringen werden.

 

Welche Rolle spielt Innovation als Wachstumstreiber?

 

TK — Alle unsere Wachstumsinitiativen legen einen starken Fokus auf Innovation: Während wir in unseren angestammten Märkten von inkrementeller Innovation sprechen – also der kontinuierlichen Weiterentwicklung bekannter Technologien, Produkte, Services und Prozesse –, ist der erfolgreiche Einstieg in ganz neue, zukunftsweisende Betätigungsfelder nur möglich, wenn wir unser Hauptaugenmerk hier auf disruptive Innovation richten: Solche „Durchbruchsinnovationen“ haben das Potenzial, alte Strukturen aufzubrechen und die Regeln ganzer Branchen neu zu schreiben. Sie entwickeln eigene Märkte, schaffen neue Geschäftsmodelle und legen damit den Grundstein für nachhaltige Wettbewerbsvorteile.  

 

Dr. Thorsten Kahlert

Das klingt nach einem herausfordernden Vorhaben – was ist notwendig, damit es gelingt?

 

TK — Disruptive Innovation ist tief in der DNA von HOERBIGER verwurzelt. Das von unserem Firmengründer Hanns Hörbiger entwickelte Stahlplattenventil ist ein Paradebeispiel dafür. Solch radikale Innovationen lassen sich jedoch nicht planen, sie entstehen in einem längeren Trial-and-Error-Prozess, weniger in definierten, aufeinander folgenden Schritten.

Grundlage sind deshalb eine offene Unternehmenskultur und ein Arbeitsumfeld, das Ideen fördert. Ideen gedeihen in einem Kontext mit hoher Fehlertoleranz und Risikobereitschaft, gepaart mit starkem Umsetzungswillen und detaillierter Kundenkenntnis. Das setzt voraus, dass sich unsere Mitarbeitenden kontinuierlich weiterentwickeln und wir gleichzeitig attraktiv für neue Talente sind, die mit unverstelltem Blick an die Dinge herangehen. In diesem Sinne bedingen sich Wachstum und Innovation gegenseitig: Um nachhaltig zu wachsen, müssen wir innovativ sein, und indem wir wachsen, machen wir unseren Konzern für bestehende und neue Talente mit neuen Ideen attraktiv.

 

Was kann die Digitalisierung dazu beitragen?

 

TK — Sie nimmt eine Doppelrolle ein – einerseits als Enabler-Technologie, andererseits als Betätigungsfeld für neue Geschäftsmodelle. Als Enabler ermöglicht sie unsere Transformation als Unternehmen und unseren nachhaltigen Erfolg. Der Einsatz von Automatisierungstechnologien wie Bots und künstliche Intelligenz erlaubt es uns z.B., unsere Abläufe effizienter zu gestalten, Kosten zu senken und die Qualität zu verbessern.

Die Digitalisierung erleichtert es uns zudem, mit Zulieferern und Kunden weltweit in kontinuierlichem Austausch zu stehen, was eine bessere Zusammenarbeit und datenbasierte Entscheidungsfindung möglich macht. Auch intern profitieren unsere Mitarbeitenden von einem digitalen Arbeitsplatz mit den neuesten Kollaborationstools, die es ihnen ermöglichen, flexibel und über Ländergrenzen hinweg an gemeinsamen Projekten zu arbeiten und sich optimal zu vernetzen.

Gleichzeitig schafft die Digitalisierung die Möglichkeit, ganz neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Die Erfassung und Analyse digitaler Betriebsdaten ermöglicht es uns etwa, dem Kunden Optimierungsvorschläge für seine Anlagen zu unterbreiten. Mit VISTRA® hat HOERBIGER beispielsweise eine cloudbasierte SaaSAnwendung (Software as a Service) zur Kompressorwartung entwickelt, die von unseren Kunden stark aufgenommen wird.

 

Dr. Thorsten Kahlert

Die Entwicklung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ist unklar. Wie gehen Sie mit dieser Ungewissheit um?

 

TK — Meine Konzernleitungskollegen und ich sind zuversichtlich, dass HOERBIGER auch im Geschäftsjahr 2023 sowohl den Umsatz als auch die Profitabilität steigern kann. Trotzdem führen wir das Geschäft aufgrund der nach wie vor sehr unsicheren Wirtschaftslage auf Sicht.

Wichtig ist, dass wir die geopolitische Lage und die Finanzmärkte sorgfältig beobachten und einen intensiven Austausch mit unseren Kunden pflegen. So stellen wir sicher, dass wir Marktentwicklungen frühzeitig erkennen und entsprechend handeln können. Wir sind aufgrund unserer soliden Planung sowohl auf eine negative als auch auf eine positive Marktentwicklung vorbereitet.

„Wichtig ist, dass wir die geopolitische

Lage und die Finanzmärkte sorgfältig

beobachten und einen intensiven

Austausch mit unseren Kunden

pflegen. So stellen wir sicher, dass

wir Marktentwicklungen frühzeitig

erkennen und entsprechend handeln können.“

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